Sonja vom Brocke

2015

Sonja vom Brocke zeichnet sich durch einen schöpferischen Sprachgebrauch aus, der Abstraktion und Abbild, Assoziation und Konstruktion, hohen Ton und Alltagswendung sowie Logisches mit Verstandeswidrigem originär, kühn, suggestiv und evokativ kombiniert. In faszinierender Fülle erfindet und findet die Dichterin genuine Sprachbilder, die nicht die bekannte Welt repräsentieren, sondern eine originär vom Brockesche Welt-aus-Sprache kreieren. Die ist nicht schön, sie ist nicht heil. Der Ton der Gedichte und Prosagedichte ist hart, von nüchtern-kühler, mitunter schnoddrig-aggressiver Noblesse und ganz eigen. So liegt in den rhythmisch und klanglich klug austarierten Versen eine so zauberhafte wie ab- und erschreckende Unfassbarkeit. Inhalt und Form der Texte sind in höchstem Maß eins, ihr Worüber oder Wovon ist das, was sie als ästhetische Gebilde vollziehen und bewirken. Die Begriffe sind häufig in Unbegreifbarkeit entbunden, die Kategorie des Sinns, wie sie uns geläufig ist, greift nicht, und die sonst selbstverständlichen Verstehensmechanismen haken oder sind außer kraft. Verstehen, Rationalität überhaupt, steht in Frage und damit die natürliche Sprache als das primäre Medium des Menschen, sich selbst und seine Welt zu begreifen, zu begründen, zu erschaffen, sich seiner selbst zu versichern und gegen die Unwägbarkeiten und Schrecken der Existenz abzusichern. Das provoziert Widerstand bei der Lektüre, oder aber es regt, auch weil die Texte unter die Haut gehen und die Sprachbilder auf die Psyche, an, sich ihnen lange zu widmen. Dann öffnen die Verse Sonja vom Brockes mit den Grenzen der gewöhnlichen Sprache das Bewusstsein auf das Unterbewusste hin und für das große Misstrauen, eröffnen sie der Wahrnehmung das Unheimliche, Halt- und Grundlose des Lebens, seine Un-beherrschbarkeit, seine Gewalt und Endlichkeit. Und zugleich scheint mit dieser Wahrheit, ihrer ästhetischen Erfahrung, im Gedicht Sonja vom Brockes ihre Dichtung selbst sich anzubieten als das Medium, sie zumutbar zu machen, sie nicht zu ver-, jedoch zu überstehen: „denn seit ich die Schrecken ahnde“, heißt es in einem unveröffentlichten Text, „fehlt mir jede Furcht // sie scheinen lieb – oder verzweifelt.“

Susanne Schulte, Laudatio GWK-Förderpreis Literatur 2015

Künstlerin

*1980 Hagen
Studium der Philosophie, Anglistik und Germanistik in Köln, Hamburg und Paris

Wikipedia.org

Jury

André Hille, Textmanufaktur, Fischerhude
Christoph Wenzel, Schriftsteller, GWK-Förderpreis 2012, Aachen
Birgit Peter, Literaturhaus Leipzig