Regina Menke

2024

Regina Menke wird für einen Ausschnitt aus ihrem Manuskript „LIBYS“ ausgezeichnet. Auf eine Weise, die aufmerken lässt, die frisch, eigentümlich und inspirierend ist, geht es in ihrem Text um ihr eigenes Schreiben. „LIBYS“ ist die facettenreiche, von existenziellem Ernst und Lust am schöpferischen Spiel getriebene Sprach-Bewegung einer Autorin, die sich zuoberst als inspirierte Leserin versteht. Menke bekennt sich zu einem prozesshaft-fluiden, unabgeschlossen-offenen dichterischen Sprechen, Erleben und Denken, das um seine Abhängigkeit von der Tradition weiß und von deren Randfiguren „angesteckt“ ist – infiziert und inspiriert. Faszinierend vollzieht es die Dichterin in ihrem Text selbst und reflektiert es poetologisch kenntnisreich und vielfältig. Durchdrungen von der Idee eines „Werdens ohne Referenz“, eines Werdens, das sich nicht von vorgegebenen Identitäten und Begriffen, der Idee von Substanz und Wesen oder einem Thema begrenzen lässt und das auf kein Ziel, auf nichts Kompaktes, Festes zusteuert, geleitet vom Willen, „Form und Subjektivität umzudenken“, sucht Menke im Schreiben etwas zu finden, das sie noch nicht kennt, für das es noch keine Worte gibt. Ihr Weg in ein Andres ist explizit gendermarkiert, „vielleicht sogar queer-feministisch“. So trägt sie mit „LIBYS“ zur Sichtbarmachung marginalisierter Autorinnen bei, schreibt diese und sich selber in die männlich dominierte Geschichte ein, treibt diese ins Werden. Dabei gewinnt ihr Schreiben „Auftrieb und Antrieb“ primär in Auseinandersetzung mit der Barockdichterin Sibylla Schwarz, jedoch darüber hinaus mit solchen Protagonist:innen der Kulturgeschichte und solchen Denkfiguren, die wie die Texte von Schwarz bei ihr ein „transhistorisches Werden“ auslösen. Virtuos, frei im Umgang mit Fakten und Konventionen der Sprache, phantasiereich ihrem Möglichkeitssinn folgend, unter Einsatz dekonstruktiver literarischer Techniken arbeitet Menke sich in „LIBYS“ durch ausgewählte alte Texte hindurch, an ihnen ab – ebenso wie an den gängigen Topoi poetologischer Selbstbestimmung, z.B. Dionysos und Apoll oder etwa an dem textilen Bildfeld fürs Schreiben, das dieses als Spinnen, Binden, Weben, Stricken, Verknoten, einen Text als Band, Geflecht, Gewand begreifbar macht. Diese Denkmuster für Festgefügtes verflüssigt sie etwa durch die Metapher von „Sätzen wie Seile“, die Sprungseile sind ins Neue, und dekonstruiert eine an Apollo orientierte Schreibhaltung in der Denkfigur des „Tier-Werdens“. Darin löst sich das empirische Autor-Ich durch Inspiration und Einverleibung fremder Texte ebenso auf wie das Subjekt des so entstehenden Textes.
Durch die Texte anderer, im Bewusstsein des Vorläufigen und des Spiels, in der Lust ungezähmten Werdens – „ich binde nur im scherzen“ – gelingt es den Inspirierten, Schreibenden wie Lesenden, auch denen, die „LIBYS“ lesen, neu zu sehen, so dass ihnen „der vermeintliche Horizont bloß noch wie eine alte Wasserwaage erscheint“.

Susanne Schulte, Laudatio GWK-Förderpreis Literatur 2024

Preisträgerin

REGINA MENKE (*1997 Wickede-Wimbern) studierte Philosophie an der Universität Hildesheim und an der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań und im Anschluss im Masterstudiengang Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien.

Jury

Dr. Jürgen Gunia Literaturwissenschaftler und Germanist an der Universität Münster
Cornelia Jentzsch Literaturkritikerin, Berlin/Oberrucksee
Hendrik Jackson Schriftsteller, Kritiker, Dozent und GWK-Preisträger 2004, Berlin