Nina Poppe
2012
Nina Poppe wird für ihre Fotoserie „ama“ mit einem GWK-Förderpreis 2012 ausgezeichnet. Die Ama sind japanische Muscheltaucherinnen, heute zumeist 60-jährige Frauen, die, nur mit Neoprenanzug und Taucherbrille ausgerüstet, ohne Sauerstoffgerät, den Lebensunterhalt für ihre Familie damit verdienen, dass sie nach Abalonen tauchen, einer der teuersten Meeresdelikatessen der Welt. Nina Poppes Fotos halten die Spannung zwischen dem dokumentarischen und dem autonomen Bild. Sie bilden den Alltag der Ama in ihrem Dorf, wo sie, da die Männer die meiste Zeit des Jahres auf See sind, in einer Gemeinschaft nur von Frauen leben, ab: ihre Gärten, Häuser und Taucherhütten, Szenen am Hafen und auf den Booten, die sie mit aufs Meer hinaus nehmen. Eine weibliche Welt ist zu sehen, neben den Ama selbst nur kleine Mädchen und weibliche Jugendliche, im Portrait, in einer sie charakterisierenden Umgebung. Diese ist fast nie ein Privatraum, sondern zumeist ein öffentlich zugänglicher Außen- oder Innenraum an Land; Unterwasserbilder gibt es nicht. Die Fotografin hält sich außen vor, agiert aus der Distanz einer Fremden heraus, die nicht behauptet, teilzuhaben, eine Voyeurin aber auch nicht ist: Sie will verstehen. So sind die Fotografien in demselben Maße das Re-sultat des Versuchs, sich einer außergewöhnlichen Lebensform durch ihre Abbildung zu nähern, wie sie faszinierende autonome Bilder sind, die zunächst ein ästhetisches Interesse und über dieses dann Fragen nach dem vorgestellten Matriarchat provozieren. Schnappschüsse wirken hier wie inszeniert, Farbigkeit, Komposition, Lichteinfall erscheinen kalkuliert, die Portraits der Ama und der Mädchen umgekehrt wie Augenblicke, die zufällig festgehalten wurden. Aufmerksamkeit und Skepsis sind auf den Gesichtern zu lesen, es strahlt keine heile Welt des Glückes auf – doch in einem jeden Foto ein Leben. Geschichten klingen an, Fragen nach dem, was die Fotos nicht zeigen, aber evozieren. Die Bilder sind gewissenhaft und still, offen und schön, auratisch. Sie thematisieren den Alltag von Frauen, um die sich – auch dazu zeigt die Künstlerin Zeugnisse – Klischees und Mythen, männliche Mythen, von der weiblichen Physis ranken, von Meerjungfrauen oder der besonderen körperlichen Disposition der Frau für die schwere Arbeit des Tauchens. Diese Ideologie repräsentiert ein populäres Wort aus der Region Shima, wo Nina Poppe fotografiert hat. Sie stellt es über ihren Zyklus: „A woman who cannot feed a man is worthless.“ Die Ama-Bilder prägt ein weiblicher Blick, der die dargestellten Frauen und ihre Arbeit der anonymisierenden Verwerterperspektive enthebt. Die Foto-grafien zeigen jede der Frauen, jedes Mädchen als Individuum und Gegenüber, als einzigartigen weiblichen Menschen, ohne Exotismus und ohne ihr Motiv auszustellen, stattdessen liebevoll und respektvoll. Es sind Bilder fremder Frauen, doch Bilder von bei aller Verschiedenheit Gleichen, Würdigen mit ihrer je eigenen inneren und äußeren und ihrer gemeinsamen Ama-Welt. Für diese beginnen wir uns zu interessieren, wenn uns Nina Poppes Fotos in sie hineinziehen – doch zugleich immer auch außen vor lassen. Denn die Frauen und ihre Welt(en) öffnen sich auf den Bildern nicht, die Fotos schließen sie nicht auf und täuschen auch nicht eine falsche Vertrautheit mit ihrem Sujet vor. Sie achten vielmehr dessen Fremdheit und machen das Subjektsein der Ama spürbar, gerade durch die scheinbare Objektivität des Kamerablicks. Hier wird niemand flott verstanden und ins Eigne subsumiert; die Fotografin ist diskret und taktvoll. Gerade dadurch gewinnt das Bild als Bild Offenheit und setzt die Imagination der Betrachtenden in Gang. Und in seiner Diskretion bekundet ein jedes, dass die Geschichte, die es anstößt, letztlich der Realität nicht mehr entspringt als der Phantasie und dem Wissen der Person, die es betrachtet – so wie das Foto selbst bei aller Realitätshaltigkeit und Aura von Objektivität den subjektiven Blick der Fotografin festhält. Diesseits bloßer Ästhetisierung der und des Fremden gewinnt Nina Poppe der Welt der Ama in ihren Bildern eine herbe Schönheit und Nobilität ab und zeigt Ama und kleine Mädchen und junge Frauen, die wohl keine Ama mehr werden, fernab aller herrschenden Klischees in ihrer Würde, ihrem Wert, eine jede in ihrer Einzigartigkeit.
Susanne Schulte, Laudatio GWK-Förderpreis Kunst 2012
Künstlerin
*1979 Münster
1999–2003 Fotografie an der Hogeschool voor de Kunsten, Utrecht
2005–2011 Kunsthochschule für Medien Köln
Jury
Dr. Jens Kastner, Akademie der Bildenden Künste Wien
Jutta Laurinat, Flottmann-Hallen, Herne
Mathias Lindner,Leiter der Neuen Sächsischen Galerie in Chemnitz
Antonia Low, GWK-Preisträger 2003, Berlin
Thomas Thiel Leiter des Bielefelder Kunstvereins
Vlado Velkov, Berliner Kurator des Kunstvereins Arnsberg