Moritz Riesenbeck

2023

Formal bis ins Detail durchdacht und sinnlich hoch attraktiv, ist Moritz Riesenbecks Kunst doch alles andre als l’art pour l’art. Seine raumgreifenden, zumeist ortsspezifischen Installationen sind im besten Sinne engagiert.

Als „staging reality“ bezeichnet Riesenbeck seine künstlerische Strategie selbst und weist damit auf fünf konstitutive Momente seiner Kunst und die Komplexität seiner Arbeiten hin: dass er (1) nicht nur den White Cube institutionalisierter Ausstellungsräume, sondern zuvorderst ausgewählte Orte unserer Alltagsrealität zu seiner Bühne macht; dass er (2) den Ort einer Installation in dieser selbst auf die Bühne bringt, thematisiert, zum Material und Moment des Werkes selbst macht; dass er (3) auf seiner Bühne Realität, die außerhalb seines Kunstwerks liegt, in dieses hineinholt, ganz handfest durch die Verwendung von Werkzeugen und Materialien der Alltagswelt wie biofidele Dummies aus Crashtests, Vakuumrettungsmatratzen, Lymphdrainageanzüge oder eine modulare Wohnung, die so wirken, als wären sie zuvor tatsächlich zum Einsatz gekommen. „Staging reality“ bedeutet weiterhin, dass (4) die ins Kunstwerk hineingeholte Wirklichkeit multidimensional ist, weshalb eine Arbeit kunstspartenübergreifend sein kann und Riesenbeck nicht auf ein einziges künstlerisches Medium festgelegt ist, auch mit Künstler:innen anderer Sparten kooperiert, und dass (5) diese Bühnenwirklichkeit eine vom Künstler in Szene gesetzte ist. Als inszenierte aber ist sie auktorial transformierte Realität und jede Installation ein intentional verdichteter Hör-, Seh-, Fühl- und Empfindungsraum und mehr-dimensionales Denkbild – eine kluge Allegorie, die zu fokussierter Auseinandersetzung verführt.

Wer sich in Moritz Riesenbecks Installationen begibt, gerät unweigerlich ins freie Spiel von sinnlicher Wahrnehmung, Imagination und Reflektion, ins ästhetische Spiel der Interpretation. Das fordert im selben Maß wie es fasziniert, und in dem Maße, wie sich darin das Kunstwerk erschließt, öffnet sich der Blick der Spielenden auf die Welt.

Denn Moritz Riesenbecks Arbeiten sind sinnlich stark und sie bewegen, gerade auch durch ihre Coolness und Kühle, emotional. Sie haben Kraft und eine zwingende Präsenz, dazu existenziellen Ernst und eine ambivalente Schönheit, die einen Schmerz wie auch eine gewisses Von-ihm-Fasziniertsein zugleich verbirgt und offenbart.

So geht es inhaltlich um Weisen des Verschwindens, der Auflösung und der Zerstörung, des Sterbens und Versehrtseins mithin: des menschlichen Körpers durch Unfall oder Überarbeitung etwa, von Gehirn und Geist durch Demenz und physischen Verfall, von Gegenständen, Räumen und Materialien durch Abnutzung und das Obsoletwerden ihres Zwecks, von individueller Identität durch gesellschaftliche Normierung, durch die Selbstaufgabe in einer religiösen oder militärischen Organisation oder, im Gegenteil, gerade durch den Niedergang haltgebender und sinnstiftender Institutionen.

Was in der Wirklichkeit dann bleibt, sind tote Körper, Sachen und Orte, Institutionen und Bilder, die ihren einstigen Sinn und Zweck nur in Spuren und ex negativo bewahren. Indem er die Formen, die übrig bleiben, in seinen Installationen aufhebt, macht Moritz Riesenbeck sie zu allgemeingültigen Allegorien des Verschwindens. Dadurch, dass er sie künstlerisch transformiert, aber sind sie zugleich als Allegorien des Bewahrens, Erinnerns und neu Beginnens lesbar – und die Strategie des „staging reality“ als Ausdruck der Lebensbejahung des Künstlers und seines Bewusstseins, mit seiner Arbeit voll im Leben und seinem Kreislauf zu stehen, Leben zu fördern und zu steigern, indem er es als Kunst inszeniert.

Susanne Schulte, Laudatio GWK-Förderpreis Kunst 2023

Künstler

MORITZ RIESENBECK (*1991 Warendorf) studierte Architektur in Münster und nahm parallel ein Studium für Kunst im öffentlichen Raum an der Kunstakademie Münster bei Maik und Dirk Löbbert auf. 2018 wechselte er zu Gregor Schneider an die Kunstakademie Düsseldorf, wo er 2022 als Meisterschüler abschloss.

Jury

Anna Goetz Kuratorin am Marta Herford ˑ
Dr. Falko Herlemann Kunsthistoriker, Förderverein Künstlerzeche Unser Fritz, Herne
Julia Höner Direktorin Kunstmuseum Gelsenkirchen
Danuta Karsten Freie Künstlerin, Kuratorin Künstlerzeche Unser Fritz, GWK-Förderpreis 1997, Recklinghausen
Dr. Linda Walther Leiterin Museumszentrum Quadrat, Bottrop