Lukas Zerbst
2018
Lukas Zerbsts Arbeiten überzeugen durch ihre Originalität und sinnliche Kraft, durch gedankliche Komplexität und das Zugleich von physischer Direktheit und bildlicher Tiefe. Technisch und handwerklich sind sie perfekt ausgeführt, wobei die zumeist krude Materialität der Dinge mit Computer-Hightech bei der Steuerung beweglicher und akustischer Elemente aufs Beste einhergeht. Der Künstler entwickelt ortsspezifische Installationen, auch mithilfe von Video, außerdem macht er Live-Video-Performances und autonome Filme oder benutzt manipulierte Alltagsgegenstände, die er in speziellen Settings präsentiert.
Seine Installationen entziehen ihren Orten die gewöhnlichen Zwecke und transformieren sie in beeindruckende Bilder und Metaphern, in irritierende Räume der Betrachtung und Reflexion. Einzelne Komponenten des Interieurs – Deckenventilatoren, eine Deckenverkleidung aus Holzpaneelen, ein freigelegtes Deckengerüst aus Aluminium oder eine Fensterfront etwa – werden dazu umgebaut und dysfunktionalisiert, statische Elemente des Raums digital in Bewegung gesetzt, Videos und, ebenfalls algorithmusgesteuert, Projektionen, markante Sound- und Lichteffekte in ihn eingebracht. Gekonnt, mitunter ironisch, hebt der Künstler die alltägliche Zweckhaftigkeit der Dinge auf und lässt diese agieren, als handelten sie aus eigenem Antrieb: Reflex auch auf die zunehmende Digitalisierung der Dingwelt?
Oder ausgewählte Gebrauchsgegenstände, Maschinen, werden zweckentfremdet – in „Ghostriders“ zwei zerfallende Mopeds – und im Raum inszeniert als wären sie Metaphern für menschliches Handeln: Bild misslingender, vielleicht konfrontativ-dominanzheischender Kommunikation.
Wie seine Installationen zeigen Zerbsts Filme und Live-Video-Performances Umdeutungen von Zweck-Räumen. Sie entstehen – z.B. in „Irrlichter einer Begegnung“ – in freier Improvisation und zeigen eine Art Ortserkundungstanz vor der Kamera durch den Raum, der zugleich ein kunstvoller Pas de Deux zwischen der gefilmten Person und dem Kameramann, dem Künstler, ist. Verfolgt dieser die spielerischen Bewegungen seines Motivs durch den Raum mit extrem subjektiver Kamera, so reagiert die Person vor der Linse während ihres Tanzes immer zugleich auch auf die Tatsache des Gefilmtwerdens und inter-agiert mit dem Apparat. Damit ist das Verhältnis von Motiv und Kamera zugleich Thema des Films, die Frage nach der Definitionsmachts des Blickenden und des Films über die Person, die er im Blick hat, festhält, gestellt. Versuche des „Motivs“, sich gegen die Fremdbestimmung und Asymmetrie der Beziehung zu wehren, entsprechen dem auf der Handlungsebene des Films, wobei der Künstler, indem er das Material im Anschluss schneidet, über die Filmhandlung die Hoheit behält. In rätselhaften Handlungsabläufen und geheimnisvoll-faszinierenden Bildern, die eine Aura (Walter Benjamin) haben und so sind, als blickten sie ihrerseits uns, die sie betrachten, an, thematisiert Lukas Zerbst die Dialektik des Filmens. Mit ihr steht zugleich – man denke an die berühmten Blick-Analyse Jean-Paul Sartres in „Das Sein und das Nichts“ – die komplexe Subjekt-Objekt-Dialektik des Blicks, die unser gesamtes Zusammenleben bestimmt, im Raum. Der Blick kann sein Gegenüber töten und erschaffen, anerkennen und vernichten, seine Identität festlegen und Realität definieren. Dabei interpretiert und bestimmt er die andern und das, was ist, nach Maßgabe der Person, die blickt – und die sich ihrerseits als angeblickte, als Objekt des Blickenden, erfährt. In starken Bildern in Zerbsts Arbeiten dargestellt, ist diese Dialektik auch auf die Rezeptionssituation seiner Kunst selbst zu übertragen, vor allem dann, wenn die gefilmte Person direkt in die Kamera blickt oder an die Linse greift. Kritisch ist bei Lukas Zerbst immer auch das Verhältnis von Werk und Betrachter mehr oder weniger explizit thematisch.
Lukas Zerbsts Kunst öffnet Räume für etwas anderes, Unbestimmtes, und sie macht offen für den anderen Blick, den offenen, liebenden, der nicht feststellt und sich nicht erhebt. Die gewisse Düsternis, die seine Arbeiten durchzieht, mag dabei das Scheitern erinnern, dem der Versuch, der Subjekt-Objekt-Dialektik und ihrer Hierarchie zu entkommen, letztlich wohl unterliegt. Das ist wahrscheinlich mit unsrer Konstitution gegeben. Doch die Anstrengung ist nicht vergeblich, sie zählt.
Susanne Schulte, Laudatio GWK-Förderpreis Kunst 2018
Künstler
*1988 Bydgoszcz
2010–2018 Digitale Medien, Freie Kunst bei Prof. Jean-François Guiton
2018 Meisterschüler bei Prof. Jean-François Guiton und Jenny Kropp
Jury
Kristina Berning, GWK-Förderpreis 2011, Berlin
Dr. Stephan Mann, Direktor Museum Goch
Dr. Corinna Otto, Draiflessen Collection, Mettingen
Dr. Hans-Jürgen Schwalm, Museen der Stadt Recklinghausen
Jan-Christoph Tonigs, Kloster Bentlage, Rheine