Lina Schwenk
2024
Lina Schwenk wird für einen Auszug aus ihrem Romanmanuskript „Flüsse im Kopf“ ausgezeichnet. In schnörkelloser Sprache, in starken Bildern, mit geschickt konzipiertem Personal und versiert gewählter Erzählperspektive liefert die 36-Jährige mit ihrem Roman einen klugen und überzeugenden Beitrag zu einem aktuellen Diskurs: „Flüsse im Kopf“ thematisiert die sekundäre Traumatisierung der Nachkriegsgeneration durch die Traumata der Kriegsgenerationen. Olivia, die um 1960 in Deutschland geborene Ich-Erzählerin und Protagonistin, hat die durch den Zweiten Weltkrieg und das Dritte Reich verursachten Traumata ihrer Eltern und Großeltern ‚geerbt‘: „Unser Blut ist verhext.“ Im Laufe ihres Erzählens, 2022, als der Krieg Russlands gegen die Ukraine tobt, kommt in ihr hoch, wie diese Traumata sie selbst und ihre Familie durch vier Generationen prägten. Lina Schwenk, wie Olivias Tochter Ava Kind von Nachkriegskindern, lässt ein suggestives, virtuos verwobenes Geflecht aus lebendigen Szenen und wiederkehrenden Motiven erstehen, die nicht allein konkrete Bedeutung tragen, sondern zugleich symbolisch-metaphorisch aufgeladen sind. Spannung, eine Atmosphäre der Bedrohung, begleitet die Lektüre, sind doch selbst die unschuldigsten Gesten und Handlungen im Roman in die Düsternis und Angst des Traumas gezogen, sein Ausdruck: Wie schon als Kind in ihren Sprachspielen mit Ausrufen wie „Tod, ich komme!“, „atmet“ Olivia auch mit ihrer Erzählung „Tod in die Luft“. Trotzdem weist der Roman ins Leben. Denn anders als durch die Lektüre von Märchen, die die lebenslängliche Verstrickung ihrer Eltern ins Trauma nicht aufhob, verarbeitet Olivia das ihre, indem sie ihre eigene Geschichte realistisch erzählt und sich durch sie mit sich selbst versöhnt.
Susanne Schulte, Laudatio GWK-Förderpreis Literatur 2024
Preisträgerin
LINA SCHWENK (*1988 Bochum) war nach ihrer Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin in Bochum als Krankenschwester tätig, studierte später Humanmedizin in Witten-Herdecke, Saint-Etienne und Cardiff und arbeitet seit 2020 als Ärztin in einem Krankenhaus.
Jury
Dr. Jürgen Gunia Literaturwissenschaftler und Germanist an der Universität Münster
Cornelia Jentzsch Literaturkritikerin, Berlin/Oberrucksee
Hendrik Jackson Schriftsteller, Kritiker, Dozent und GWK-Preisträger 2004, Berlin