Georg Leß

2014

Georg Leß wird für noch unveröffentlichte Gedichte ausgezeichnet, u.a. den Zyklus „Wirbel“, eine Serie von Texten die Wirbelsäule, die Konstruktionsachse des menschlichen Körpers, entlang. Der Lyriker schreibt ‚schwierige‘ Gedichte: Sie widersetzen sich dem schnellen, dem vollkommenen Verstehen wohl überhaupt. Manches versteht sich zunächst wie von selbst, anderes aber versteht man gar nicht; dann affiziert letzteres das Verstandene und zieht es in Vagheit, in Mehrdeutigkeit und ins Nichtverstehen hinein. Gegenläufig zugleich dies: Liest man die Gedichte wiederholt, leise und laut, erschließen sie sich – emotional, und ein Nachhall breitet in den Lesenden sich aus. Innere Bilder steigen auf, die Phantasie ist stimuliert. Die Gedichte haben eine Aura; die provoziert. Sie gehen den Lesenden nach und uns an im Doppelsinn des existenziellen Betreffens und des Angriffs auf unsere Existenz. Denn es ist ein leises und subtiles Grauen, das in denen aufsteigt, die sich bei der Lektüre öffnen. Nichts ist hier sicher, nichts stabil, nichts mehr gewohnt und vertraut: weder das Ich, noch die Konventionen oder ein Du, weder die Dinge noch die Sprache. Im Alltag, in der sogenannten Normalität, durch die einfachen Wörter tut Bedrohung sich auf, wenn Georg Leß sie „falsch benutzt“, in einer originellen, einmaligen Wendung gegen die Wörterbuchdefinition, gegen die Normalkontexte, was manchmal überraschend witzig, immer aber abgründig ist und suggeriert, alles könnte vieles bedeuten, Bedeutungen gleiten, entgleiten. Auf ein Es, das unbenannt bleibt, ungreifbar und unbegriffen, ein Etwas, das wohl überhaupt nicht zu fassen ist, weisen eigentlich all diese Gedichte, in ihren Bildern, Statements, Szenen und Aktionen, durch ihre Musik: das suggestive Spiel der Assonanzen und Rhythmen, durch das die freien Verse sich bei den Lesenden einschleichen und wirken, irgendwie. Obwohl sie selbst kalt sind, melancholisch kalt, kalkuliert, lassen sie nicht kalt. Georg Leß spricht ohne „Sicherheitsgurt über Augen und Mund“, seine Gedichte sind radikal subjektiv. Ihr gewisses Etwas, ihr düstres Je ne sais quoi, ist das ästhetische Korrelat der Unheimlichkeit des Daseins. Es kann die Achse erschüttern und aus der Mitte werfen.

Susanne Schulte, Laudatio GWK-Förderpreis Literatur 2014

 Künstler

*1981 Arnsberg (Neheim-Hüsten)
Studium in Münster

Homepage des Künstlers

Jury

Dr. Pia-Elisabeth Leuschner, Lyrikkabinett, München
Annette Kühn, Luxbooks, Wiesbaden
Dr. Jürgen Gunia, Westfälische Wilhelms-Universität Münster