David Rauer

2019

David Rauer wird für seine bildhauerischen, performativ-installativen, oftmals partizipatorischen Arbeiten ausgezeichnet. Als Keramiker, der sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat und es virtuos beherrscht, macht er farbintensiv-vielfarbige, in ihrer Form mal geschlossenere, mal offen-informelle Klein- und Großplastiken, von denen sich nicht sagen lässt, ob sie etwas darstellen oder gar was sie seien. Stattdessen stoßen sie bunte Assoziationen, heitre Verwunderung, Fragen und Zweifel an – eine kreativ-lustvolle Auseinandersetzung mit ihnen.

Der traditionelle Gebrauchszusammenhang von Keramik ist in Formen und Formelementen, die Vasen, Henkel, Griffe, Ausgüsse und Einlässe, Gitter, Schläuche und Rohre abwandeln, erinnert und als Möglichkeit der Plastik eingeholt, zugleich jedoch zurückgewiesen. Denn keine Funktion ist ja tatsächlich aktiviert. Durch die Anspielung auf sie aber ist das Augenmerk auf potentielle Funktionen umso größer: auf Umschließen und Öffnen etwa, Transferieren, Geben und Nehmen, Verbinden, Austauschen, Aufbrechen. Zudem bergen die Plastiken, durchaus in Dada-Tradition, einen hintergründigen Humor und skurrilen Reiz, irgendwie Witz, was sich nicht zuletzt auch in den so treffenden wie poetisch-absurden Titeln niederschlägt. Und sie sind schön – aber in Rauerscher Art. So haftet ihnen etwas Raues und Roughes, Spontan-Ungezähmtes, etwas Bestimmtes und zugleich Unprätentiöses und Spielerisches, an. Entsprechend werden sie zumeist nicht auf dem herkömmlichen Sockel, sondern auf trashigen Untersätzen präsentiert. Das gradet die Kunst down, erdet sie im Leben. Dazu haben die Objekte, was ein Handwerksmeister Rauer als Fehler brandmarken müsste: Brandrisse etwa, Sprünge, Unebenheiten in der Glasur. Der Künstler Rauer aber merzt diese Unvollkommenheiten und Zufälligkeiten nicht aus, sondern scheint sie zeigen zu wollen. Wie, wenn der Riss in der Plastik auf die Versehrtheiten eines Menschen verwiese, der Fehler im Kunstwerk auf die grundsätzliche Fehlbarkeit unseres Tuns? Wenn die Schäden in einer Keramik im Zusammenspiel mit den funktionslosen Schnittstellen den Defekt in jedem System und das Moment von Kontrollverlust und Unbeherrschbarkeit hervorkehrten? Was man sieht, sind Unikate, die einerseits verfestigte Formen sind und wie lebendige Individuen für sich stehen, andererseits aber Bruch- und „Schnittstellen“ aufweisen – als wären sie nicht allein Zeugen des Gemachtseins, eines lebendigen und partiell unkontrollierbaren Prozesses mithin, sondern auch Einfallstellen für Öffnung und Veränderung, Kommunikation.

Zumal David Rauer seine Keramiken, auch unter Einbeziehung von Objekten, die er aus anderen Materialien herstellt, miteinander etwa durch Schläuche verbindet oder keramische Arbeiten in größere Installationen integriert, in offene oder geschlossene Systeme. Diese Installationen können raumgreifend sein, im Innen- oder Außenraum stehen, im öffentlichen Raum intervenieren. Die vielgestaltigen Gebilde sind aus diversen „armen“ Alltags- und Baumaterialien in punkiger, dezidiert imperfektionistischer Bricolage gebaut und performativ und partizipatorisch ausgerichtet. Man kann mit ihnen etwas machen und man ist eingeladen, dies zu tun. Der Künstler handelt, auch in Kooperation mit Künstlerkollegen, während einer Ausstellung in ihnen. Er setzt eine statisch daherkommende Arbeit in Bewegung oder baut an ihr weiter. Oder er bezieht die Besucher*innen ein und setzt sie in Bewegung, so dass sie nicht bloß Rezipierende sind, die die Arbeit eines andren rational oder kontemplativ nur betrachten. Ihr Kunst-Erleben ist stattdessen ein Kunst-Machen. Und das Kunstwerk verwandelt sich von einem geschlossen-fertigen Werk in ein offenes Gemeinschaftsprojekt von Künstler und sogenannten Laien: Kunst ist Leben, Leben Kunst.

David Rauers Plastiken und performativ-partizipatorische Installationen überzeugen und begeistern. Sie sind dem Leben, dem Leben als letztlich unverfügbarem Prozess, positiv und der Gesellschaft in ihrem Verstummtsein und ihren Verkrustungen kritisch zugewandt. An ausnahmslos alle sprechen sie ironisch-freundlich die Einladung aus, es dem Künstler gleichzutun: ohne Furcht vor Fehlern, mit Freude sogar an ihnen, lustvoll und zweckfrei zu gestalten, zu kommunizieren und zu handeln, ein Kunst-Spiel zu spielen, das dem Leben vertraut. Um des Lebens willen.

Susanne Schulte, Laudatio GWK-Förderpreis Kunst 2019

Künstler

*1986 Ostercappeln/Osnabrück
2006–2009 Ausbildung als Keramiker
2009–2011 Academie voor beeldende Kunst en Vormgeving, Enschede
2012 Kunstakademie Münster bei Prof. Ayşe Erkmen
2015 Meisterschüler Prof. Ayşe Erkmen, Akademiebrief KA Münster

Homepage des Künstlers

Ausstellung: Komplexreflex – Dem Flötmoment auf der Schliche 12.10.2019—26.01.2020, Märkisches Museum Witten

Jury

Georg Elben, Direktor Skulpturenmuseum Glaskasten Marl
Clemens Botho Goldbach, GWK-Preisträger, Künstler
Ralf Hartweg, Kurator DZ BANK Kunstsammlung Düsseldorf
Christoph Kohl, Institutsleiter Märkisches Museum Witten
Merle Radtke, Leiterin der Kunsthalle Münster
Dr. Birgit Schulte, Stellv. Direktorin Osthausmuseum Hagen