Bettina Marx
2013
Bettina Marx ist Malerin. Doch sie malt nicht nur Bilder, die man, ganz traditionell, an die Wand hängt und betrachtet, indem man den fest umrissenen, viereckigen Flächen gegenüber steht; sie verwandelt vielmehr, mit dem und aus dem Malmaterial heraus, vorgefundene Räume in berückend fremde Orte, die, wer mag, betreten, in die man physisch und geistig-seelisch eintreten kann. Es sind dreidimensionale Bilder, Bild-Orte als offene Bild-Welten, die Bettina Marx erschafft. Sie bewegen jene, die sich in ihnen bewegen, wundersam, und sie bewegen den Bildbegriff: Sie öffnen. Die Künstlerin malt und zeichnet Bilder, mit Acryl und Tusche, Blei- und Buntstift, Grafit- und Farbpigmenten, mit Kugelschreiber, Kreide oder Edding. Sie malt und zeichnet auf Leinwände, Holzkästen und Papiere im DIN-Format wie auch auf ‚profane‘, einfache, nicht für den separierten Lebensbereich „Kunst“ erfundene Bildgründe: Pappen, Tapeten, ihre Rück- und Vorderseiten, Reistapeten und Seidenpapier oder direkt auf die Wände und Böden eines Ausstellungsorts. Ihre Maltechniken sind einfach: neben dem traditionellen Farbauftrag mit dem Pinsel gibt es z.B. Schüttungen, Frottagen, Abdrücke, Collagen. Die so entstandenen Bilder sind, trotz mitunter auftauchenden figuralen Elementen, abstrakt und poetisch, nicht lesbar im Sinn von Bedeutungszuweisung, flottem Verstehn. Sie befremden und verwundern, fordern das Schauen und die Imagination, provozieren Interpretation. Für die weit gereiste Malerin selbst bergen sie Erinnerungen an nahe und ferne Orte – subjektiv, radikal. Das ist keine Haltung des Verschließens, Bettina Marx‘ Malerei ist alles andre als hermetisch. Sie bezaubert vielmehr in ihrer schieren Präsenz und schließt zuerst die Fantasie der Betrachtenden auf, zieht diese ins Bild hinein und öffnet sie im Erlebnis des Bildes auch für eine neue Erfahrung von sich selbst. Bettina Marx malt Bilder im Atelier, zum einen. Diese sind autonome Kunstwerke. Zum andren arbeitet sie untraditionell vor Ort, am Ausstellungsort, als Malerin und installativ. Ihre Atelierbilder macht sie zu Elementen umfangreicher Rauminstallationen, die sie aus dem Material des Malers in einfacher Technik bastelt: gebrauchten Keilrahmen, Rollen mit Papier, Brettern etc. Als Teil einer Installation bezieht sich ein Bild zusätzlich auf den Ort, an dessen Wänden es ‚irgendwo‘ konventionell hängen oder unkonventionell stehen, auf dessen Boden es liegen kann. Dabei verliert das Atelierbild seine Eigenständigkeit nicht, sondern es gewinnt im Gegenzug hinzu: neue Konnotationen, einen anderen Horizont, Möglichkeiten für die Imagination der Betrachter. Den jeweiligen Ort selbst bestimmt die Malerin, mal enger, mal weiter, als den unmittelbaren Präsentationsraum oder als diesen in seinem städtisch-landschaftlichen Kontext – wie etwa in ihrer GWK-Ausstellung im Kunstverein Arnsberg. Und dieser Ort inspiriert die Malerin. Einzelbilder, die im Vorfeld einer Ausstellung, wie in Arnsberg, entstehen, antworten möglicherweise auf konkrete Elemente, atmosphärische Momente vor Ort, wiederum nicht in simpler Abbildung, sondern subjektiv übersetzt, für andere aber nachvollzieh- und aus-denkbar, ‚auszumalen‘ qua Imagination. Oder Wand und Boden sind selbst Bildträger und in Teilen Bildmoment, wenn die Künstlerin direkt auf sie malt, die Ränder des Bildes dabei nicht scharf definiert, sondern öffnet in den Raum und in das Wand-Boden-Bild selbst noch kleinere Atelierbilder oder Bilder auf ausgerollten Tapetenrollen hängt, deren Unterteil auf dem Boden liegt. Oder es werden Eigenschaften und Objekte des Ortes zu Bildelementen nobilitiert, indem Bettina Marx sie durch die Anordnung ihrer Bilder, durch Lattengerüste und so etwas wie Rahmen, die sie aus gebrauchten Keilrahmen bastelt und in den Raum stellt, in einen cadrierten Blick rückt: ‚malerische‘ Schäden in der Wand, Fenster, ein Teppich, der Holzfußboden, ein Türrahmen oder, wie in Arnsberg, die Raufasertapete durch die ihr vorgehängte Frottage aus der Raufaserwand mit ihren (Insidern lesbaren) Spuren vergangener Ausstellungen, mit dem frottierten luftigen Monumentalbild auf einer Wand, welches das Lichtspiel des Sonnenuntergangs durch das Fenster daneben und die Berge und Wälder des Sauerlands ins Bild hineinnimmt. Bettina Marx malt autonome Bilder, öffnet diese auf Räume und verwandelt mit ihnen, mit strikt ortsbezogener Malerei, Bastelmaterialien aus dem Reich des Malers und lokalen ‚objets trouvés‘ Orte in Bilder, die man begehen kann, in Bild-Orte. Es sind Provisorien, Collagen, Bricollagen, so ephemer und grenzenlos, so phantasievoll und kompliziert-einfach wie das Leben selbst – Bild-Welten, die verführen, den Blick zu öffnen, die bewegen, den Blick-, den Standpunkt zu wechseln, das Weltbild. Etwas tut sich auf am Bild-Ort, am Kunstort: die Welt als Möglichkeitsraum, lustbesetzt.
Susanne Schulte, Laudatio GWK-Förderpreis Kunst 2013
Künstlerin
*1981 Bonn
2002–2008 Studium der Freien Kunst an der Kunstakademie Münster, Meisterschülerin von Cornelius Völker
2009 Gaststudium an der Kunstakademie Düsseldorf in der Klasse von Peter Doig
Jury
Dr. Julia Draganovic, LaRete Art Projects, Modena / New York
Susanne Kleine, Kunst- und Ausstellungshalle der BRD, Bonn
Paula Mueller, GWK-Förderpreis 2009
Kristina Scepanski, Westfälischer Kunstverein, Münster
Vlado Velkov, Kunstverein Arnsberg/Berlin