Katrin Wegemann

2010

Katrin Wegemann ist Bildhauerin, ihre Werke sind „performative Skulpturen“, Skulpturen, die, anders als die gemeißelten, geschnitzten,statischen der Tradition aus Stein oder Holz, Prozesse vollziehen in ihnen eigentümlicher Art, Langsamkeit und Konsequenz. Es sind Performances der Dauer, objektive Korrelate dessen, was niemals sichtbar wird, da es im Geist des Subjekts nur statthat: der „durée“ (Bergson), der Dauer und ihrer individuellen, selbst für das erlebende Ich ungreifbaren und unwiederholbaren Erlebnisse von Zeit. Die performativen Skulpturen haben metaphorische Titel wie „Atmen“ oder „Auflösen“. Auch das indiziert, dass es nicht um Material und feste Formen, sondern um einen quasi-organischen Prozess, dabei aber nicht um die Nachahmung natürlicher Vorgänge oder den Gegensatz von Organisch und Künstlich geht. Vielmehr wird die Erfahrung des Atmens oder Auflösens als eine Erfahrung der subjektiven Qualität von Zeit, die sich auf keinem Zeitmesser abbilden lässt, thematisch. Die Künstlerin bildet nicht Natur ab, sondern konstruiert in Analogie zu Naturprozessen Artefakte. Diese unterwirft sie Regeln, selbst verschwindet sie als Individuum aus ihren Arbeiten. Hinter der Szene „nur“ ist die Künstlerin tätig. Sie wählt die Materialien aus, lässt die technischen Apparate bauen und definiert die Bedingungen, unter denen sich mit einer Skulptur das tut – was sich dann eben tut. Die Performance ist der Regel und dem Zufall, den Gegebenheiten der Welt, überantwortet, auf sich gestellt. Das Kunstwerk als Werk ist aufgelöst und es ist frei von der Handschrift eines Autors. Auch eine Autorhandlung im strengen Sinn einer intentionalen Aussage der Künstlerin ist nicht auszumachen, die aleatorischen Skulpturen sind frei von Botschaft. So sind sie offen für die Betrachtung und die Projektionen, mithin aber die Zeit- und Selbst-Erfahrung derer, die ihnen gegenübertreten und sich geduldig ihrem Prozess aussetzen. Was sich mithin durch die Arbeiten mitteilt, ist die Nicht-Mitteilbarkeit des Innren. Erfahrbar wird, im unmittelbaren Erleben wie in den Versuchen, es auszudrücken und mitzuteilen, dass die Erfahrung der Dauer und ihre Qualia, das Wie-es-sich-Anfühlt, dass die subjektive Qualität der durée nicht kommunikabel ist. Es gibt – so kann man vermöge der performativen Skulpturen lustvoll, nicht schmerzhaft wie zumeist im richtigen Leben, erfahren – für die Kommunikation des Ich mit sich selbst und andren eine Grenze und für ihr Gelingen weder Maßstab noch Garantie. Das Innre entzieht sich; lebendig und erfüllt ist es als bewusst gelebte Dauer. Für diese, für’s „richtige Leben“, ist der Kunstgenuss, den Katrin Wegemann uns bereitet, Paradigma oder Stimulans oder ein Vorgeschmack – so süß und duftend wie weiße Schokolade.

Susanne Schulte, Laudatio GWK-Förderpreis Kunst 2010

Künstlerin

*1982 Recklinghausen
2002–2003 Kunstakademie Münster bei Mark Formanek, Carsten Gliese und Michael van Ofen
2003–2007 Kunstakademie Düsseldorf bei Irmin Kamp und Martin Gostner
2005–2006 Accademia di belle arti Lorenzo da Viterbo, Italien
2007–2008 Kunsthochschule Berlin, Meisterschülerin bei Inge Mahn und Else Gabriel

Homepage der Künstlerin

Jury

Melanie Bono, Westfälischer Kunstverein, Münster
Burkhard Leismann, Kunstmuseum Ahlen
Roland Nachtigäller, Marta Herford
Lilijana Stepančič, Piran
Ingrid Raschke-Stuwe, Montag Stiftung, Bonn